Sonntag, 1. November 2009

Brief an alle die Studierendenprotest ablehnen

Vorweg: Hallo Reaktionäre! - warum „Reaktionäre“? Und was bedeutet das überhaupt?

Nun es ist so: als „Reaktionär“ wird laut Wikipedia die Summe derjenigen bezeichnet, die sich Fortschritt zugunsten alter Zustände verweigern. Und warum könnte ich euch jetzt so begrüßen?


http://de.wikipedia.org/wiki/Reaktion%C3%A4r


Fangen wir einfacher an: In Österreich sind die Universitäten besetzt. Nicht alle, aber sehr viele große und wichtige. Wir, die BesetzerInnen, machen das weil wir es als wirksamstes Mittel gegen die prekäre Bildungslage in Österreich, in Europa und auch Weltweit ansehen.


StudentenInnen sind privilegiert. Nur ein sehr geringer Teil der Menschen, auch in Österreich, hat überhaupt die Möglichkeit studieren zu gehen. Eine Besetztung, sei es des Audimax in Wien, der TU in wien, des C1, der Boku, der SOWI in Innsbruck, der Vorklinik und der TU in Graz, der Universität Klagenfurt, Linz und Salzburg ist ganz klar auch eine Blockade. Wir besetzten die Hörsäle und verhindern damit – für einen KURZEN (!) Zeitraum, das darin Vorlesungen abgehalten werden, nehmen ihn als Ausgangspunkt um Protest zu organisieren. Das alles ist gewissermaßen auch ein letztes Mittel: Demonstrationen verhallen im Nichts, der austauschbare Kopf des Systems, Hahn, schert sich nicht darum wieviele Leute ihn ablehnen.


Bei der Besetztung ist das anders: wir bekommen Solidarität. Wir penetrieren die Regierung aufs Ganze, wir treiben etwas schon lange überfälliges zum Maximum. Und wenn jetzt jemand zb denkt: „aber das ist doch paradox, für die Bildung Bildung verhindern?!“ dann sei ihm/ihr gesagt, das Vorlesungen auch aufgrund anderen Sachen ausfallen. Euer Prof ist krank, er hat keine Lust mehr weil der Hörsaal so überfüllt ist, dass es sowieso keinen Sinn macht. Usw..


Sich darüber zu entbrüsten, dass vielleicht alle 20 Jahre mal ein paar Wochen kein Unterricht stattfindet ist grotesk. Immerhin geht es nicht nur um eure blöde Prüfung – die könnt ihr so oder so machen, die muss jeder von uns machen – sondern auch um die ganze Zukunft – es geht um eure Kinder die irgendwann auch mal studieren wollen, unabhängig ob ihr bis dahin so reich seid dass ihr Studiengebühren zahlen könnt oder nicht.

Weiters regen sich viele komplett falsch auf, indem sie das hier quasi als studienfaul darstellen und verlangen, studieren zu gehen, nicht spassig die Universität zu besetzen. So lustig ist das nicht, das sei euch gesagt. Im übrigen habe ich eine der reaktionären Facebook Gruppen aufmerksam beobachtet: „Studieren statt Blockieren“. Hm.. Da ließt man doch tatsächlich das es Samstags cool ist ins Audimax zu gehen, Sound zu hören und Bier zu trinken, und im Facebook dann die 'IdiotInnen' ins schlechte Licht zu rücken. Diese Boboeinstellung, dass es zwar cool ist auf dem Trittbrennt mitzufeiern, aber ansonsten ja total dagegen zu sein – weil er oder sie – es sich scheinbar leisten kann, ist abzulehnen. Sie ist hinterlistig. Sie ist falsch. Sie zollt von etwas, das studierende BlockiererInnen bei der Eröffnung des neuen BOKU Gebäudes in Wien künstlerisch sehr gut darstellten: genormte, verpackte und angepasste Studenten, jeglicher Kritik beraubt, und freiwillig krepierend statt studierend.

Weiteres bitte ich alle, die da herumpöbeln noch einen sehr wichtigen Punkt zu beachten: SEIT Jahren fordern Studentenvertretungen Livestreams, bzw Aufzeichnungen von Vorlesungen im Internet anzubieten. Dann könnte Mensch es sich sparen, 30 Minuten Ubahn zu fahren um dann in einem völlig überfüllten Hörsaal mit 2000 anderen sich EINEN Prof zu teilen. Daheimbleiben und Videoaufzeichnung anschauen. Keine einzige Universität in Österreich hat dies nur ansatzweise umgesetzt. Vor circa einer Woche dann ein Novum: die Uni Innsbruck hat es geschafft: ca 400 Vorlesungen sind endlich auch im Internet für jeden abrufbar.

Wir haben auf 4 Universitäten aus dem Nichts anschaubare Livestreams geschaffen. Die Unis schaffen das seit Jahren nicht. Genau solche Dinge wollen wir aufzeigen.


Wir halten auch alternative Vorlesungen. Wir vernetzen Studienanfänger, die jetzt auf ihre Vorlesungen verzichten müssen. Wir kümmern uns darum! Wir haben KEIN Interesse daran euch zu schaden. Es geht um euch, um eure Kinder und um eine mündige, gebildete Gesellschaft.


Also wenn ihr in Innsbruck seid, und wie ich gesehen habe plant am Dienstag die SOWI zu „entsetzten“, dann schaut bitte in eurem Groll erstmal noch auf der Streamingplattform der UNI ob eure Vorlesungen vielleicht nicht sowieso im Internet anschaubar sind. Weil sonst war alles für die Katz und euer – vielleicht ungewollter – reaktionärer Widerstand wird noch lächerlicher.

Weiteres würde ich gerne darauf verweisen, dass viel dieser „studieren statt blockieren“ - Agitation von der ÖVP nahen AG forciert wird. Wir haben dazu eine Meinung: ENDLICH! Denn jetzt wird ersichtlich, was die AG schon sehr lange macht: studierende nicht vertreten, sondern mit dem Wissenschaftsminister herumschmusen, ja keinen Widerstand leisten, und wenn schon, dann so, dass es kein/e Einzige/r irgendwie mitkriegt. Das ändern wir. An dieser Stelle würde ich noch gerne auf meinen älteren Text "Widersprüche im vergangenen Bildungsprotest" hinweisen, der sich etwas weiter unten auf meinem Blog findet. Dieser beschäftigt sich eingehender mit diesen -typisch österreichischen- politischen Mechanismen.


Deshalb zeigt bitte Solidarität – und legt uns nicht noch mehr Steine in den Weg als wir sowieso schon vor uns finden – So etwas gibt es vielleicht alle 20 Jahre, und euch bricht kein Zacken aus der Krone wenn ihr ein paar Vorlesungen verpasst – schließlich geht es darum dass ihr in genau diesen Platz bekommt, ihr Tutorien besuchen könnt, dass Vorlesungen auch übers Internet gestreamt werden, dass Studieren und Arbeiten bis zum Umfallen nicht sein muss usw.


Wir sind auf der Seite aller, die wissen das eine freie Bildung Grundstein für eine freie Gesellschaft ist. Hier wird gearbeitet, wir machen was, und wir wehren uns.


Grüße aus dem Audimax




6 Kommentare:

  1. Warum ich mich mit der Protestbewegung im Audimax nicht identifizieren kann obwohl ich selber Student bin?
    1. Die Forderungen sind übertrieben und widersprüchlich. Keine Studiengebühren und freien Zugang für alle ist einfach nicht realistisch, da Geld nun mal nicht auf Bäumen wächst. Genauso die Abschaffung von Konkurrenzdruck. Das ist schlicht und einfach blauäugig.
    Auch sollte man sich auf die wichtigsten Forderungen konzentrieren statt mit unzähligen Nebenforderungen daherzukommen.
    2. Die Studenten die im Audimax protestieren sind im politischen Spektrum am äußeren linken Rand anzusiedeln (jeder der sich schon im Audimax umgesehen hat, kann das anhand der Karl Marx und Che Guerava-Poster auf den ersten Blick erkennen). Viele normale Studenten können damit eben nichts anfangen.
    Auch dass Sprecher von den JuLis dort vom Rednerpult ferngehalten wurden spricht wohl Bände für das Demokratieverständnis der Audimarxisten.
    3. Schmierereien in der Uni Wien und Rauchen im Audimax zeigt auch kein gutes Bild der Besetzer.

    Alles haben können und nichts dafür zahlen - das wird es eben nicht spielen!

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  2. Ad 2 kann ich nur eins sagen:

    Es gibt jetzt die AG Ideologiefreiheit, die es mit aller Kraft versuchen wird diese Marxisten und andere Links-Linke und Radikale zu mäßigen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wer Lust hat, soll vorbeikommen und sich konstruktiv beteiligen!

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  3. Ich weiß zwar nicht was an Marxismus Ideologie sein soll - immerhin versteht sich die Frankfurter Schule auch als kritische Marxisten (Marx/engels selber hat 1. gesagt "wenn das marxismus ist, bin ich kein marxist" und 2. hat ein WISSENSCHAFTLICHES werk, die analyse des aufkommenden wirtschaftssystems geliefert namens "das kapital") und haben mit ideologie wirklich gar nichts am hut.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Schule

    "echter" marxismus ist also wissenschaftlich, nicht ideologisch. Als "links-linker" würde ich mich als libertärer Kommunist bzw anarchisten auch bezeichnen, das hat aber mit meiner ideologiekritik und ideologieferne garnichts zu tun.

    insofern ist nämlich die "ideologie" keine ideologie zu haben genauso eine ideologie.

    AG antiautoritäre praxis - ideologisch? wohl kaum, aber durchaus links, emanzipatorisch und sehr wertvoll und wichtig
    AG widerstand mit verstand - links und freunde der kritischen theorie bzw der frankfurter schule, also eigentlich auch "marxisten" - ideologisch? wohl kaum , aber VERDAMMT wichtig wer beobachtet hat was die im audimax alles bewegt, kritisiert usw haben.

    mfg

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  4. nur mal so ne idee in den raum gestellt, die forderungen wurden aufgestellt und die politik soll sich überlegen wie man diese forderugnen erfüllt? als konsens versuch wäre doch mal von Studenten seite ein Konzept gefordert wie man das alles umsetzten soll, ein Konzept was finanzen, platz und ähnliches beinhaltet, dieses Konzept dann der Politik vorlegen überarbeiten und für beide seiten das in den kommenden jahren best mögliche daraus machen

    ABer nur Wir wollen .... und die Politk solls machen, also ich finde dieses Spiel kann nicht gespielt werden, vorallem vllt wird denjenigen die dies alles Fordern dann mal klar, wie viel geld das ganze kosten würde

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  5. @murm3l Geld in die Bildung ist mit der besten Rendite angelegt, die mensch sich nur vorstellen kann.

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  6. @ich: ich denke, dass es bei dem kommentar von murmel31 nicht rein um die Geldfrage geht, es geht vor allem darum, dass man nicht einfach unmengen von Forderungen stellen kann, ohne einen Plan wie man das ganze umsetzen kan.

    ICH BIN FÜR STUDIENGEBÜHREN!!!
    Ich weiß das klingt gerade recht abschreckend für alle Audiomax-Besetzer, aber bitte hört mir ganz kurz zu.
    1.)Ich studiere am MCI (FH), bei uns gibt die Sudiengebühren noch, jedoch werden sie denen, deren Eltern unter einem gewissen Betrag verdienen, refundiert. Also verstehe ich euren Spruch: "Reiche Eltern für alle!" nicht...
    2.) Die Studiengebühren wurden abgeschafft und die Unis wurden so überlaufen wie nie zuvor. Keine Studiengebühren ziehen natürlich auch unsere deutschen Nachbarn sehr an. Bitte fasst das jetzt nicht diskriminierend oder so auf, aber die kommen (verständlicherweise) auf unsere Unis studieren um sonst und gehn dann zurück --> und weg is sie die tolle Rendite^^
    3.) Ich bin der Meinung es sollten nur die studieren, die es auch wirklich wollen, es ernst meinen und nicht jene die sich einfach vorm arbeiten drücken möchten. Führt man die Studiengebühren wieder ein, kann man fleißige Studenten unter Nachweis von gewissen Studienerfolgen unterstützen (Stipendien, Studienbeihilfe...). Der Rest soll einfach zahlen.

    Zum Schluss möchte ich noch kurz sagen, dass ich mich auf keine politische Seite extrem hingezogen fühle, sondern mich als liberal ansehe. Aus diesem Grund versuche ich auch eure Seite voll zu verstehen, also wenn jemand in der Lage ist, schlüssige Gegenargumente zu bringen, würde ich mich sehr freuen!
    mfg

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